Grusswort Nicolas Galladé zum Flüchtlingstag 2025 in Winterthur

Dieser Text wurde ursprünglich als Grusswort an der Veranstaltung zum Flüchtlingstag in Winterthur am 21.6.2025 von Nicolas Galladé vorgetragen.

Geschätzte Anwesende

Es freut mich ausserordentlich, im Namen des Stadtrates von Winterthur ein Grusswort und in mehrfacher Hinsicht einen Dank aussprechen zu dürfen. Einen Dank, dass in Winterthur erstmals ein derartiger Anlass mit einem beeindruckenden Programm durchgeführt wird anlässlich des Flüchtlingstags. Und einen Dank für das grosse Engagement von vielen von Ihnen und ihren Organisationen für und mit Flüchtlingen in Winterthur.

Ein Leitspruch für Engagement und Politik, der mich schon früh begleitete und den ich gerade auch für den heutigen Anlass treffend finde, lautet:

«global denken, lokal handeln»

Er passt heute in doppelter Hinsicht:
– Einerseits, weil wir an die global über 120 Millionen Menschen auf der Flucht denken und jenen darunter ge-denken, die verstorben sind. Wir machen dies hier und heute mit einem lokalen Anlass in Winterthur.
– Andererseits, weil heute mit dem Flüchtlingstag auch die Gelegenheit ist, darauf hinzuweisen, was dieses globale Thema für konkrete lokale Auswirkungen für Winterthur hat. Und wie Sie und viele andere Menschen und Organisationen sich für das Thema vor Ort auch an den anderen 364 Tagen im Jahr engagieren.

Wenn ich mich 10 Jahre zurückerinnere, an die grosse Fluchtbewegung aus Syrien im Nachgang zum «arabischen Frühling», habe ich häufig zur Einbettung und um unsere Herausforderungen in Relationen zu setzen, auf die Flüchtlingszahl weltweit hingewiesen. Ich hatte damals von etwa 60 Millionen Menschen auf der Flucht gesprochen weltweit. Wenn heute von über 120 Millionen Menschen die Rede ist, dann stellen wir fest, es hat eine massive Zunahme gegeben. Mehr Menschen sind auf der Flucht. Ihnen gedenken wir heute. Und dem unermesslichen Leid, das viele auf ihrem Fluchtweg erleben. Und jenen, die das nicht überleben und sterben. «global denken» wird in diesem Fall zu einem «Ge-denken». Es ist wichtig, dies nicht zu verdrängen. Es ist wichtig, dies nicht auszublenden. Dies zu benennen. «Beim Namen nennen», wie die Aktion heisst. Das Festhalten, Aufschreiben und Verlesen der Personen, Schicksale und Umstände mit der Installation «Beim Namen nennen» und den häufig im Wind flatternden Zettel, welche alle für diese Todesfälle stehen, konfrontiert uns auf unmittelbare und berührende Weise mit dieser traurigen Realität. Die Installation, die Hannes, Markus und Mathis Jedele konzipiert und konstruiert haben, zeigt auf, dass es beim Thema Flüchtlinge nicht nur um Zahlen, um unvorstellbar grosse Zahlen, geht. Sondern auch um Menschen mit Geschichten und Schicksalen.

Das baut die Brücke zur zweiten Bedeutung von «lokal handeln» in diesem Kontext. Es waren auch Hannes, Markus und Mathis Jedele, die bereits vor zehn Jahren, als wir viele Flüchtlinge aus Syrien und den benachbarten Ländern kurzfristig aufnahmen, mit Holzhäusern in der Kirche Rosenberg und im alten Busdepot Deutweg dazu beigetragen haben, dass wir rasch und unkompliziert in Winterthur Flüchtlinge aufnehmen konnten. Sie erhielten sogar einen Architekturpreis dafür. Nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und der damit verbundenen Fluchtbewegung haben sie ermöglicht, dass wir die ehemalige Kochschule der Kantonsschule an der Trollstrasse mit Holzeinbauten als Unterkunft für Geflüchtete nutzen konnten. Das war und ist enorm wichtig, dass wir jeweils zeitnah nach den jeweiligen Ereignissen Unterbringungsmöglichkeiten suchten – und fanden.

Noch wichtiger war aber, dass in diesem Zusammenhang nicht nur wir als Stadtverwaltung übergreifend einen riesigen Effort leisteten, sondern auch Private und zivilgesellschaftliche Akteur:innen, die auch heute dabei sind und zu diesem Anlass beigetragen haben. Ich erinnere an die Gastfamilien für ukrainische Flüchtlinge in der Anfangsphase. Aber auch rund um Unterkünfte, in Quartieren und Stadtkreisen sowie übergreifend haben sich bereits 2015 Akteur:innen, Nachbar:innen und viele mehr zusammengetan und wichtige Beiträge geleistet. Für die Akzeptanz in der Bevölkerung. Für eine gelingende Integration. Für ein gutes Zusammenleben in Winterthur. Etwa die reformierte Kirche, die auch heute mit der Fachstelle Migration massgeblich zum Anlass beigetragen hat, die katholische Kirche in Winterthur, die Christkatholische Kirchgemeinde Zürich, das Nord-Süd-Haus, die Freiwilligen-Agentur Benevol die vieles koordinierte oder VIWO, welche für niederschwellige Wohnvermittlungen sorgen sowie Solinetz mit seinem grossen Angebot an Deutschkursen. Es gibt natürlich noch viele andere Akteure:innen, die ich mit Rücksicht auf meine fortgeschrittene Redezeit nicht erwähne, die aber mitgemeint sind.

Man könnte angesichts der der grossen globalen Zahlen und der einzelnen Schicksale auch in Ohnmacht, in Passivität und in Depression verfallen. Das wäre nachvollziehbar. Aber nicht hilfreich. Es ist wichtig, dass wir die Kraft nehmen, an unserem Ort, lokal und konkret in dem Bereich zu wirken. Wir entfalten Selbstwirksamkeit dort, wo wir können. Und das machen sie alle mit ihren Angeboten und ihren Netzwerken.

Diese Netzwerke wurden 2015 geknüpft und aufgebaut und überdauerten die Zeit oder waren so eng, dass sie ab 2022 wieder rasch reaktiviert werden konnten. Es war nicht nur ein wesentlicher Beitrag, dass die Politik der Stadt Winterthur, unseren Anteil zu leisten, von der Gesellschaft verstanden und breit mitgetragen wurde und wird. Es war darüber hinaus sogar die Basis, dass die Zivilgesellschaft mithilft, diese Aufgabe zu erfüllen. Wir haben natürlich viel mehr Menschen, die einst als Flüchtlinge nach Winterthur kamen, aber mittlerweile gar nicht mehr also solche geführt werden. Wenn wir die Anzahl jener nehmen, die uns dem sogenannten Aufnahmekontingent, welches wir zu erfüllen haben, zugerechnet werden, waren es am Tag des Kriegsausbruchs in der Ukraine im Februar 2022 rund 420. Dieses Kontingent hat sich rasch verdoppelt, verdreifacht und mittlerweile mehr als vervierfacht. Das alles ist eine beachtliche Leistung. Und sie ist auch dank Ihnen gelungen. Dafür möchte ich mich bedanken. Wir konnten die Menschen materiell unterstützen, unterbringen und zunehmend auch gut integrieren. Das Asylsystem in der Schweiz funktioniert real viel besser, als es aktuell den Eindruck macht, wenn man Zeitungen liest oder Debatten im Nationalrat verfolgt. Es ist anspruchsvoll, aber es war seit 2022 schon herausfordender als zur Zeit. Selbstverständlich gibt es auch Probleme und es läuft nicht alles gut. Aber im grossen Ganzen sind wir gut unterwegs und sollten das nicht schlecht reden lassen, sondern aufzeigen, was ist und was wir machen. Und wie gesagt: Angesichts von 120 Millionen Flüchtlingen, die die allermeisten in ihren Heimatländern oder deren Nachbarländern sind und gar nie nach Europa kommen, ist es unsere Aufgabe, jene, die in die Schweiz kommen, aufzunehmen und zu integrieren, wenn sie die Flüchtlingseigenschaften gemäss unserer Gesetzgebung erfüllen oder Schutzbedürftig sind.

Ich komme zum Schluss und möchte dabei auf ein Zitat von Vaclav Havel verweisen, das sehr gut zum heutigen Tag und zu ihrem, zu unserem Engagement im Flüchtlingsbereich passt. Ich habe es zum ersten Mal vor rund 10 Jahren gehört in einem Bericht im SPIEGEL über Angela Merkel und ihre Flüchtlingspolitik. Es lautet: «Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn macht, egal wie es ausgeht». Angesichts der 120 Millionen Geflüchteten und ihrer Schicksale ist es unser, ist ihr Beitrag hier vor Ort ein Engagement, das wichtig ist und Sinn macht. Unabhängig davon, wie es ausgeht. Nehmen Sie bei allem Belastenden und Bedrückenden, das einen auch Ohnmächtig und passiv machen könnte, gerade wenn man einzelne Schicksale und geflüchtete Menschen, die auch am heutigen Anlass dabei sind und mitwirken, kennt, den Gedanken von Vaclav Havel mit.

Ich möchte ihnen Mut zusprechen, dass wir die Hoffnung nicht verlieren, dass wir Hoffnung ausstrahlen mit unserem täglichen Engagement in Winterthur und unserer Gesellschaft, weil wir das Richtige tun.

Vielen Dank.

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