Aus der Ferne lässt sich leicht verbieten

Gestern hat die Stimmbevölkerung des Kantons Zürich zwei Instrumente abgelehnt, die eigentlich genau dort ansetzen, wo in den Städten Zürich und Winterthur der Schuh drückt: Die Mobilitätsinitiative, die den Städten die Kontrolle über Tempo 30 auf Hauptstrassen entzieht, wurde ebenso deutlich abgelehnt wie das kommunale Vorkaufsrecht bei Grundstücken.

Quelle: https://app.statistik.zh.ch/wahlen_abstimmungen/prod/Actual/Det/1_1_20251130/261882/Abstimmungen/Resultate

Damit zeigt sich ein altbekanntes demokratisches Spannungsfeld in Reinform: Menschen, die kaum betroffen wären, entscheiden über Massnahmen, die andere dringend benötigen. Und ausgerechnet jene Kräfte, die sonst bei jeder Gelegenheit «lokale Freiheit» und «Eigenverantwortung» predigen, jubeln nun darüber, dass der Kanton den Städten massiv reinregiert. Besonders pikant ist, dass einige vermeintlich liberale Parteien aus Winterthur dieses Resultat feiern, als ginge es um einen Sieg der Selbstbestimmung, obwohl genau diese Selbstbestimmung gerade ausgehebelt wurde.

In den Städten gehören übermässiger Strassenlärm und gefährliche Verkehrsverhältnisse zum Alltag. Tempo 30 ist hier die wirksamste und kostengünstigste Massnahme, um Lärm zu reduzieren, für mehr Sicherheit zu sorgen und die Lebensqualität in dicht besiedelten Gebieten spürbar zu verbessern.

Die Wohnungsnot betrifft vor allem die Stadtbevölkerung. Das Vorkaufsrecht hätte den Gemeinden ein gezieltes Instrument gegeben, um bezahlbaren Wohnraum zu sichern – allerdings nur, wenn sie die finanziellen Mittel hätten, es im Einzelfall auszuüben. Von Enteignungsfantasien ist also weit und breit nichts zu sehen.

Besonders ironisch ist, dass viele Gemeinden, die den Städten Tempo 30 auf Hauptstrassen verbieten wollen, genau diese Temporeduktionen bei sich selbst planen. Offensichtlich ist Verkehrssicherheit in ländlicheren Gebieten ein legitimes Anliegen, in Städten jedoch ein Ärgernis.

Und dann gibt es noch einen weiteren Widerspruch: Dieselben bürgerlichen Stimmen, die sonst bei jeder Gelegenheit vor «fremden Richter:innen» warnen, haben nun keinerlei Probleme damit, wenn genau diese Gerichte am Ende über die städtische Verkehrspolitik und Bodenpolitik entscheiden. In beiden Fällen laufen nämlich Verfahren, die erst noch geklärt werden müssen – und es ist gut möglich, dass wir zu diesen Themen nochmals an die Urne müssen. Ausgerechnet jene, die sonst Zürcher Entscheidungen vor Bundesgerichten beklagen, setzen nun darauf, dass eben diese Gerichte das Ergebnis absichern.

Das eigentliche Problem liegt jedoch tiefer als bei einzelnen Abstimmungsvorlagen: Wenn die Agglomeration regelmässig über städtische Lösungen für städtische Probleme entscheidet, verlieren Stadtentwicklung und Verkehrspolitik ihre wirksamsten Instrumente. Nicht, weil die Argumente schlecht wären, sondern weil die Betroffenheit geografisch völlig ungleich verteilt ist. Das führt zu einem politischen Paradoxon: Je grösser die Distanz zur realen Problemlage, desto grösser der Einfluss auf die Lösung.

Darum bleibt die zentrale Frage – und sie wird uns so schnell nicht loslassen:

Wie können wir dieses demokratische Dilemma lösen, ohne die demokratische Legitimation zu untergraben?

PS: In beiden Fällen werden die Gerichte bald ein Wörtchen mitreden. Es ist gut möglich, dass dieses Kapitel noch nicht abgeschlossen ist und wir nochmals darüber abstimmen werden.

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